Liebes Archiv … Einträge vom Oktober 2006

Euch weit voraus.

Morgens halb zehn in Deutschland. Während ihr noch an eurem zweiten süßen Frühstückchen lutscht, haben wir im wilden Osten euch schon einiges voraus, am letzten Sonntag gab's sogar noch eins drauf. Wir sitzen also bereits am Mittagstisch, wischen uns vornehm die Mundwinkel nach dem Genuß unseres Dizi. Wenn ihr um drei Uhr nachmittags sehnsüchtig auf die Uhr schaut und den Feierabend herbeibetet, sind wir schon auf dem Heimweg.
Nach dem Joggen - es ist dann auch hier schon seit einer Stunde dunkel - kommt die quälende Zeit des Wartens auf euch!, daß uns ihr endlich einholt - Hausfrauenfernsehen, Boulevard, scheußliche Serien, vertrödelte Lebenszeit!, bis endlich um HALB ELF die Mutter aller Nachrichten, die Tagesschau, ausgestrahlt wird. Der folgende Abendfilm wird zur Nachtvorstellung. Zeitverschiebung frißt so manches vom Komfort der globalisierten Welt wieder auf.

[] Parand New City / Dienstach, 31. Oktober 2006

Kneipp-Kur mit Hindernissen.

   
Verwundert sind wir nicht, daß die geplante Tour zum höchsten Berg Irans schon im Ansatz vorbei ist, um elf Uhr vormittags ist die Straße bereits für uns gesperrt, wie wir es von unserer Fahrt ans Kaspische Meer kennen. Wir hatten die schneebedeckte Erdbeule heute noch nicht mal gesehen vor Smog und Wolken, so war die Enttäuschung auch klein.
Doch wohin jetzt? Wir haben kein Ausweichziel inpetto, aber flugs fragt Herr Ali einen LKW-Fahrer - Firuzkuh! Firuzkuh is gut! Inshallah. Was es da zu sehen gibt, bleibt unklar, doch wir willigen schulterzuckend ein. Was haben wir zu verlieren?! …
Von der Hauptstraße abgebogen landen wir irgendwann in einem Dorf am Arm der Welt, durchqueren es und gelangen auf der Schotterstraße neben dem lustig plätschernden Flüßchen bis zum Ende derselben. Picknicker lagern überall am Fluß im wohl unvermeidlichen Müll, es scheint sie nicht zu stören. Von hier aus geht ein Weg weiter flußaufwärts und nach der langen Sitzerei schnüren wir gern unsere Ranzen.
Aber kaum einen Kilometer weiter wird unsere Wanderlust auf eine harte Probe gestellt: Der Weg endet im Canyon, den der Fluß sich in mühsamer Arbeit durch den Fels gefressen hat und wir bekommen kalte Füße allein vom Anblick. Unsere iranischen Freunde sind schon längst drin und hinter der ersten Biegung der steil aufragenden Felswände verschwunden, wir diskutieren noch. Dann fasse ich mir ein Herz, Schuhe aus und rein - jaul! - stechende Schmerzen! Die Kiesel sind störend, aber die Wassertemperatur ist zum Heulen! Eine physische Pein wie ich sie lange nicht ertragen durfte, das eiskalte Wasser läßt mich zweifeln - was soll da hinten schon warten, das diese Tortur rechtfertigt?! Meine deutschen Kollegen geben nach ein paar quälenden Metern wieder auf.
Ist es sowas Esoterisches wie den Körper mal wieder spüren wollen oder was treibt mich weiter, Trotz, Stolz, Wahnsinn?! Very good sagt Herr Ali, als ich die beiden erreicht habe, und zeigt auf seine krebsroten Füße in den alten Latschen, auch hierher sind die Lehren des Herrn Kneipp also gedrungen. Und endlich erblicke ich - ungläubig erst - das steinerne Relief mit den vielen Figuren, Fath Ali Schah inmitten seiner Jagdgesellschaft. Mit den vier Jungs, die gerade vorbeikommen, und ihrem Schießgewehr posiere ich dann vor dem Kunstwerk und sie drängen weiter, wohin?
Ich bin willig, aber barfuß gegen zweierlei Martern? Ich ziehe die guten Schuhe an und so wird das Waten im wadenhohen Wasser fast erträglich. Zur Belohnung öffnet sich der schmale Canyon dann zu einem breiten Tal. An Land sprechen alle nur noch vom Wasserfall, nur dreißig Minuten entfernt! Hätte man da nicht schon stutzig werden müssen?! Herr Ali bleibt zurück und mich treibt die Gier nach feinen Landschaftsaufnahmen weiter - nicht ganz umsonst. Vorbei an geschlossenen Teestuben - wie kommen die Leute im Sommer hierher? - und immer am Flüßchen entlang ist das Tal bald schon wieder zu Ende und da steht der nächste Canyon. Tja, ich hab' es bis hierher geschafft, also weiter, wieder rein in die Eisbrühe und Zähne zusammengebissen! Alles für die Gesundheit!
Ich hab' schon vergessen, auf die Uhr zu sehen, aber die Zeit sollte langsam um sein, als wir vor einer Kaskade stehen. Hm, man könnte noch weiter klettern, aber es ist längst Zeit, umzukehren. Zurück im trockenen Tal bittet mich der Schäfer auf seinem Esel, ihm beim nächsten Mal sein Foto mitzubringen - inshallah! sage ich. Und dann zum letzten Mal in das mörderische Naß, die Kollegen sind trocken geblieben und haben sich wohl schon gelangweilt, wir krempeln die nassen Hosenbeine runter und machen uns gutgelaunt auf die Rückfahrt durch mehrere Schafherden.
Die Ernüchterung kommt bald: wir landen in einem gigantischen Stau ohne Ausweg - Ramadan-Heimkehrer? - der uns bis nach Teheran in seinen Klauen behält, stellenweise sechs-spurig stoßen die Irren in ihren Paykans in jede noch so kleine Lücke. Nach langem Abwägen auf der über vierstündigen Schleichfahrt lassen wir uns doch noch zur ersten warmen Mahlzeit des Tages hinreißen und fressen uns zum Erbrechen voll. Nur noch eine Stunde halsbrecherischer Fahrt und wir sind zurück in unserem Steppenkaff. Uff.
 

[] Firuzkuh / Freitach, 27. Oktober 2006

Was vom Ramadan übrigblieb.

emand hat gestern den Mond gesehen, damit ist der Ramadan im Iran beendet, Tusch und Feiertag. Die jungen Wilden jagen ihre Mopeds durch die Straßen. Wenn ich nun jemanden fände, der meine Frage verstünde, lingual wie philosophisch, früge ich ihn, was er vom diesjährigen Fastenmonat mitnimmt. Was bedeutet ihm der Ramadan? Familienfest-Marathon auf Vorrat für die nächsten elf Monate oder teure Massenverköstigung zur Statusdokumentation? Mentale Entschlackung und innere Einkehr oder gesellschaftlich erzwungene Entsagung? Gelegenheit zum Abnehmen oder Freigabe zur nächtlichen Fettlebe? Sinnfreies religiöses Relikt oder gelebtes Glaubensbekenntnis? Tief empfundene Besinnung auf alte Werte oder Show für die Nachbarn und Gönner? Aber vielleicht will ich es garnicht so genau wissen, suche nur ein neues Thema, um meine gierigen Leser wach zu halten.

[] Parand New City / Dienstach, 24. Oktober 2006

Flotte Käfer auf heimischer Flora.

   

[] Parand / Dienstach, 24. Oktober 2006

Blitzartig naß.

litze zucken hinter der ersten Bergkette, als wir die Straße heraufhecheln, ein beeindruckendes Schauspiel, das wir in den letzten Tagen schon öfter miterleben durften. Auf der Geraden, als wir schon wieder Luft geschöpft haben, …

…spüren wir - eine in den Wind geschlagene Warnung - klitzekleine Regentropfen auf unseren bloßen Armen. Die Blitze zucken weit entfernt, der Donner grollt spät. Dann die dicken Tropfen in loser Formation noch, nichts Ernstes, doch schon geht es los, fast waagerecht schlagen uns die dicken Wasserbatzen ins Gesicht, bäng! bäng! Im Windschatten eines Busses finden wir Deckung, während der Regen über uns hinwegfegt. Der Rinnstein schwillt, schwer klatscht das Wasser auf den Asphalt. Nicht lange und der Regen läßt nach, wir patschen durch die Rinnsale die Straße hinab, an der letzten Ecke plötzlich - zapp! - Dunkelheit. Die Laternen glimmen noch etwas nach, ein paar Blitze erhellen lautlos unseren Weg. Die langen Sehstäbchen gewöhnen sich langsam an die Schwärze, wir tasten uns nach Hause, wo die kalte Dusche im Taschenlampenlicht wartet.

[] Parand New City / Sonntach, 21. Oktober 2006

Wilde Mandeln.

    
Ich ging in der Steppe so für mich hin, nichts als Stille zu suchen war mein Sinn, was ich fand waren Blumen und Schotter, dazwischen Dornen und Stacheln und Eier mit Dotter zum Frühstück gabs deswegen nicht, da die Sonne schon hoch am Zenit sich befand, die karge Steppe ist reich an Leben, das liegt wohl auf der Hand.
Ach ja, und hinter den Dornen verstecken sich die Mandeln, die wilden, klein und bitter.

[] Parand / Freitach, 20. Oktober 2006

Herr Ali duldet kein billiges Nein.

amadan, Fest der Familie, der Freunde, der gemütlichen Zusammenkünfte zum Fastenbrechen am Abend. Die Attraktionen der verschlafenen Stadt, nette deutsche Männer im besten Alter, die ein gewisses Interesse an fremden Kulturen bereits mehrfach unter Beweis gestellt haben, werden gern eingeladen. …

Kaum den Rucksack abgesetzt, klingelt es schon and der Tür. Herr Ali steht unten und versucht aus Farsi und unverständlichen Brocken Englisch eine Einladung zum Abendessen zu formulieren. Doch ich erwarte meinen Kollegen mit Pizza! Er hat verstanden (daß wir uns ins Schlafkoma saufen wollten hatte ich höflicherweise unerwähnt gelassen) und rennt gleich los, den armen Kerl abzufangen und mitzuschleppen. Gastfreundlich bis zur Aufdringlichkeit läßt er keine lahme Entschuldigung gelten. So geht es also zwei Straßen weiter - der Strom ist gerade wieder da - vor der Tür die Schuhe aus und rein in die gute Stube. Die zumeist älteren Herren erheben sich und begrüßen uns feierlich, wir wissen garnicht was unser Verdienst ist. Die Frauen und Mädchen sitzen etwas abseits oder sind mit der Vorbereitung des Essens beschäftigt, doch ein kleines Salaam dringt bis zu ihnen durch. Die kleinen Kinder tollen im leeren Wohnzimmer, an dessen Wänden die Kissen drapiert sind. Wir werden gebeten, uns zu setzen und Tee wird gereicht.
Der Fernseher sondert eine iranische Seifenoper ab, das Beobachten der aufgedrehten Kinder verkürzt uns die Zeit, denn mehr als einige zusammenhanglose Worte in Englisch kann keiner der Herren und unser Farsi ist nicht besser. Doch schon bald wird die Tischdecke auf dem Teppich ausgebreitet und die Tafel reich gedeckt: Salat, Dessert, Sabsi, Huhn, Reis, Dings und Bums, und immer bietet der Hausherr uns die Schüssel vor allen anderen an - Ehrengäste? Warum sind wir hier? Weil es Allah so gefällt? Dies ist bereits mein zweiter Auftritt in kleinem Kreise, von Gewöhnung will ich aber noch nicht sprechen. Wir schlagen ordentlich zu, denn es ist sehr lecker. Irgendwann sind wir gesättigt, noch immer ist genug übrig. Nicht jeder kann sich so ein Fest leisten, sagte mir mal jemand.
Wir werden an die andere Seite des Zimmers gebeten, wo wir - erst nach Entwarnung von Herrn Ali - unsere Beine etwas ausstrecken, die Knie bedanken sich herzlich. Tee wird gereicht und die Damen beginnen das Abwaschen des Geschirrberges, das dauert. Die Kinder springen wieder wie aufgezogen umher, der Fernseher informiert uns mit persischen Nachrichten und wir werden träge. Unwohl fühlen wir uns, denn es ist nicht klar, welche Zirkusnummern von uns erwartet werden, einfach nur schlau gucken und lächeln? Ich bin ein schlechter Gast. Und undankbar. Ich denke ans Aufgeben, mache es unserem Herrn Ali mit Gesten klar, es ist halb zehn. Wir erheben uns vorsichtig, die Knie knacken. Noch eine halbe Stunde, die Tochter des Hauses hat sich vom Haushalt abgewandt und lächelt uns fast flehend an. Ich beginne, weich zu werden, alle lächeln und doch fühle ich mich schlecht - was steht denn noch auf dem Abendprogramm? Wird es jetzt gemütlich? Trotzdem reißen wir uns los, verabschieden uns aufwändig und mehrfach und es fühlt sich an wie Enttäuschung, die wir zurücklassen. Aber draußen ist uns schon viel wohler.

[] Parand New City / Mittwoch, 18. Oktober 2006

Bunte Pfützen.

   

[] Parand / Mittwoch, 18. Oktober 2006

Tapfer schlägt sich der Nachwuchs.

   
Volksfeststimmung im kleinen Parand. Feierlich ernst bis zur Ausgelassenheit wird religiös getrauert. Orgelpfeifen, vorn die Großen, hinten die Kleinen. Die vorn, denen ist es schon fast zu albern, die in der Mitte sind stolz, dabeisein zu dürfen, die hinten wissen noch nicht so richtig, worum es geht. Drei Abende lang schlagen sich die Jungen mit ihren Kettenprügeln im Takt der Pauken und der eingängigen Stimme auf den Rücken, wie es bei den Schiiten Sitte ist. Dem aufmerksamen Leser wird die Episode bekannt vorkommen, denn schon im letzten Februar hatten wir Ähnliches zu berichten, doch diesmal geht es um den Tod Alis, nicht Husseins. So also marschieren die Trauernden langsam und bedächtig durch die Stadt, um sich am Ende gemeinsam in der Moschee zu stärken, doch nichts wird hier so ernst und verkrampft verrichtet wie in den mir bekannten arabischen Ländern - man ist ja nicht päpstlicher als der Papst! Das betrifft wohl auch die Einhaltung des Ramadan. Heuchelei ist eben ziemlich anstrengend. Jedem also den Ramadan nach seinem Bedarf.

[] Parand / Freitach, 13. Oktober 2006

Welcome 2 Windy Town.

Fenster fliegen, Scheiben klirren, Gardinen flattern hilflos im Wind, ausgesperrt, die zarten Bäumchen werden hin- und hergezerrt, der Müll, die Matratze, eben noch an der Straßenecke abgelegt, irren durch die Stadt, zerstreut, überraschte Passanten ziehen sich über den Kopf, was sie an Kleidungsstücken am Leibe tragen. Der Kamin jault, Staub pfeift durch die undichten Fenster.
Eben schaue ich noch den vier Grazien hinterher, die sich durch den Staubsturm kämpfen, als plötzlich - klack! - das Licht ausgeht, überall. Parand atmet aus. …

Und dann klopft, ganz vorsichtig noch, der erste Regentropfen an mein Fenster, noch mehr lange, schmale folgen ihm, doch ihre Gewalt bleibt weit unter dem des Wolkenbruches, den ich nach dem Getöse und Gejaule erwartet hätte.
Ich will den Regen schmecken, die feuchte Luft atmen, endlich, und schlüpfe durch die schiefe Haustür auf die stockdunkle Straße. Einige Nachbarn haben schon die Stearin-Brennelemente und Taschenlampen gefunden, ein paar Fenster leuchten schwach. Ich schaue um die Ecke und die Regentropfen klatschen in mein Gesicht. Ich stemme mich dem Wind entgegen und laufe zur nächsten Ecke, wo Onkel und Tante Emma in ihrem Laden um zwei mickrige Kerzen hocken. An der dritten Ecke ein Kleinlaster mit seinem Gemüsemann unter einer kleinen Funzel. Um die vierte Ecke bedeutet der Lichtkegel eines passierenden Autos den Unterschied zwischen gleißender Helle und dunkelstem iranischen Nachtschatten. Noch eine Ecke (jaaa, die Fünfte - und erste!) und ich bin wieder zurück. Ich gehe hinein, Regen prasselt auf das Dach, eine dünne, gelbe, unromantische Haushaltskerze ersetzt mir nun die Elektrizität, als ich dies hier niederschreibe.
Und die Sache scheint sich zum Roman auszuwachsen, das Heimchen zirpt verängstigt irgendwo in einem trockenen Plätzchen auf dem verwahrlosten Hinterhof, doch - klack! - ist der Strom wieder da, wenn auch etwas zittrig. Schluß mit der Gefühlsduselei, abruptes Ende des Romans, aus mit der Kerze! Nur der Regen plätschert weiter leise auf das Dach, übertönt vom öffentlich-rechtlichen Dokudrama.

[] Parand New City / Mittwoch, 11. Oktober 2006

Über den iranischen Trabi.

    
Es sind zwei Dinge, die hier sehr selten zu sehen sind, einmal die unverhüllte Frau in der Öffentlichkeit und zum Zweiten eine Straße ohne den einheimischen Trabi, den Paykan.  …

Der kleine Adoptiv-Iraner ist aus dem Straßenbild nicht wegzudenken. Aufwändige Werbung war sicherlich nicht nötig, als der Erbe des auch hier präsenten Hillman Avenger mit den tollen Crashtest-Bewertungen endlich aus der iranischen Autoschmiede rollte, so schnittig und kostengünstig. Neunzehnhundertsexundsexzig war der Hillman Hunter in Coventry entwickelt worden, um mittels des allseits bekannten Verfahrens des Badge Engineering unter allerlei Namen seine Verbreitung auf dem Erdenrund zu finden. Neunzehnhundertsiemundsiebzich machte der Kleine zuhause Platz für andere Modelle und die einzige Lizenz zum Durchhalten ging nach? Genau, nach Teheran und als letzte Hillman-Entwicklung erlebte er unter dem Pseudonym Pfeil das Jahr zweitausendfümpf ohne Modellwechsel, das hat sein ostdeutsches Pendant nicht geschafft. Die zeitlose Eleganz, die Wartungsfreundlichkeit und die Haltbarkeit haben den Paykan auf den Olymp der iranischen Volkswagen gehoben.
Mit internationaler Hilfe wurde sodann der Nachfolger in den Herzen (wie ich vermute, auch wenn der kleine Kia Pride das Erbe in seiner Klasse antrat) ausgefeilt und das Schnelle Pferd erfreut sich angeblich so hoher Beliebtheit, daß die Produktion die Nachfrage nicht befriedigen kann.

[] Parand / Dienstach, 10. Oktober 2006

Parand City Blues IV.

Nun ist es unmöglich geworden, die vergitterten vier Wände zu erreichen, bevor die Sonne hinter dem Horizont verschwunden ist, jeden Tag ist sie uns ein Stück weiter voraus und morgen kann es schon soweit sein, daß der Paykan nicht mehr im Sonnenuntergang abzulichten ist. Es ist erst Oktober und schon vor sechs dunkel, kein Uhrenzurückstellen, um von der Winterdepression einen kleinen Aufschub zu erkaufen, aber wenn weiterhin an neunundneuzig Prozent aller Tage die Sonne brennt, ist sowas bestimmt garnicht bekannt oder vorgesehen.

[] Parand / Dienstach, 10. Oktober 2006

Was du wolle?!

    
Wie aufregend, ach!, klingen doch die Berichte von all diesen fernen Orten, an die man selbst nie reisen würde! Welch abwechslungsreiches und interessantes Leben muß sich dahinter verbergen! Kultur, Keschichte, Krisenherd. Abenteuer 24/7! …

Doch nur von den tollen Bildern und fein gewobenen Märchen auf das wahre Leben auf der Walz zu schließen geht so daneben wie die Diagnose des Lebens der Germanen allein nach ihrem Auftritt auf dem Schlachtfeld. Die Wirklichkeit ist immer viel banaler. Die Kultur, die uns Probleme macht, ist die Arbeitskultur. Der Krisenherd ist die Arbeitsstelle.
'Ju, go ma end bring ma ne lemp!', spricht's und schaut in die treuen Augen mit dem Hundeblick, ergebenes Nicken, doch weiter keine Reaktion, 'lemp, ju noh, lemp!', schon leicht erbost fuchtelt's mit den Armen, die Halsschlagader tritt bereits etwas hervor, doch endlich leuchten die Augen auf, der Mann, der daran hängt, eilt beflissen von dannen. 'Ey! Und spenna, big, aba yalla!', schreit's hinterher. 'Nich ma änglisch könnse!', schüttelt's dann den Kopf und zünd't sich erstmal eine an, denn das mitte lemp kann dauern, weiß man ja. Bis dahin wird noch ein bißchen über Land und Leute gemeckert und geflucht, Anekdoten werden zum Besten gegeben und es wird der Kopf geschüttelt und häßlich gelacht.
Und dann endlich kommt die lemp, aber 'Wo issn der spenna? Wat sollma denn mittn secksndreißiger, 'n zwei'ndreißich'nhalb sollteste bringen! Maaaaann!', und rollt mit den Augen, daß sie fast aus den Höhlen fallen. 'Mann, sind die blöde!', keift's wieder einmal und schaut in ein verständnisloses Gesicht, dem man eigentlich nicht böse sein kann. Eigentlich.
Schon auf halbem Weg zum Lager war der freudig-erregte Blick zusammengefallen und traurig verlangsamte sich der Schritt. Dann traf der arme Wicht auf seinen Leidensgenossen, an einer guten Sitzgelegenheit nahmen sie ihre zerknitterten Schutzhelme ab, beschauten ihre löchrigen Socken und klagten sich ihr Leid. Was wollten die Almani? Konnten kein Wort Farsi! Lemp ju noh? Schließlich gingen sie auseinander, etwas niedergeschlagen, und der eine kramte irgendwas aus dem Lager und schlurfte zurück zu seinem Herrchen, mit der bedrückenden Gewißheit, das falsche Stöckchen apportiert zu haben.
Doch nun mußte er schon wieder los, 'assa spenna, mann!' sollte es diesmal sein, hurtig hurtig!, aber er durfte hohen Herren dienen, gottgleichen Geschöpfen, deren Gedankengänge immer etwas Geheimnisvolles hatten. Man wußte nie, was ihr nächster Wunsch sein würde.
Sicher war allein der pünktliche Feierabend, heim in die Baracke am Rande der Baustelle, alles Böse des Tages vergessen, um morgen wieder neu anzufangen, ohne Groll und Arg.

[] Parand / Sms-tach, 07. Oktober 2006

Mayday, mayday!

   
Pilot sein! Der Traum eines jeden Jungen, heute erfüllt er sich für uns, nunja, daß wir die verrotteten Kisten nicht in die Luft bekommen, verdirbt uns nicht den Spaß. Hat die Boeing 727 mit der plüschigen Ausstattung wirklich dem Schah gehört? Was hat die DC10 erlebt, die jetzt sehnsuchtsvoll über das Tal schaut? Welche Geschichten könnten all die ausgeschlachteten Passagier- und Kampfflugzeuge erzählen, hätte man ihnen nicht den Flugschreiber aus dem Leibe gerissen? Alles kann man anfassen, niemand schert sich drum, man darf sich durch die verwahrlosten Rümpfe arbeiten und ganz vorn sitzen. Ein Abenteuerspielplatz! Das Coolste wäre danach die Shisha gewesen, während man neben dem Rumpf des Air Restaurants auf dem Teppich lungert und den Ausblick auf die Berge genießt. Leider ist geschlossen wegen des Ramadan.

[] Teheran / Freitach, 06. Oktober 2006

...und hier geht's weiter in die Vergangenheit.